Fiona Fritz ist Historikerin und Programmleiterin für eCommemoration in der Abteilung Geschichte und Politik der Körber-Stiftung. Seit 2018 konzipiert und koordiniert sie in der Körber-Stiftung internationale, geschichtspolitische Projekte sowie digitale Formate für junge Europäer. Wir haben mit ihr über Herausforderungen der Digitalisierung und den XR History Award gesprochen. 

VRHAM!: Liebe Fiona, die Körber-Stiftung setzt sich für internationale Verständigung und eine lebendige Bürgergesellschaft ein. Welche Rolle spielt in diesem Kontext das Stichwort „Digitalisierung“?

FIONA FRITZ: Als Körber-Stiftung ist unser Mission Statement „Gesellschaft besser machen“. Das gilt auch für die Digitalisierung, die bereits fast alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt und verändert. Viele Programme der Körber-Stiftung befassen sich deshalb dezidiert mit den Auswirkungen von Digitalisierung auf die Zivilgesellschaft, z.B. mit Hate Speech im Netz gegen Kommunalpolitiker, aber auch der Stärkung digitaler Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen.
In unserem Bereich Geschichte und Politik befassen wir uns vor allem mit dem Aspekt der internationalen Verständigung, die durch globale Vernetzung einfacher wird. Im Digitalen spielen Ländergrenzen für direkten Austausch keine Rolle mehr, während in der Auseinandersetzung mit Geschichte nationale Echokammern weiterhin stabil sind. Gleichzeitig verbreiten sich Verschwörungsmythen und Geschichtsverzerrung schneller denn je. Genau da setzen wir mit unseren Programmen im Bereich Geschichte und Politik an.

Du bist Programmleiterin des Projekts eCommemmoration der Körber-Stiftung – Welches Ziel verfolgt Deine Arbeit?

In unserem Programm eCommemoration geht es um Geschichte und Erinnerung in digitalen Formaten, in Games, Social Media und Extended Reality. Neue Technologien und neue Generationen werfen neue Fragen an die Geschichte auf. Wie können wir digitale Möglichkeiten nutzen, um eine vielstimmige und relevante Erinnerungspraxis zu schaffen? Mit  eCommemoration vernetzen wir grenz- und disziplinübergreifend Akteur:innen, die sich mit Geschichte befassen. Mit unserer eCommemoration Convention bringen wir Historiker:innen, Museumsmacher:innen, Entwickler:innen und Kreative aus der ganzen Welt zusammen, um gemeinsam Geschichte und Erinnerung in Games, Social Media und Extended Reality zu erkunden, zu diskutieren und zu gestalten. 

Wir produzieren zudem  unseren History & Politics-Podcast, in dem wir mit Gästen aus unterschiedlichsten Richtungen darüber sprechen, warum Geschichte auch immer Gegenwart ist, und wie uns ein Blick zurück hilft,  diese besser zu verstehen. 

Welchen Herausforderungen begegnest Du bei deiner Arbeit, Geschichte und Erinnerung digital zu denken?

Gerade in den letzten Monaten haben wir mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine ganz massiv erfahren müssen, dass Geschichte ein extrem machtvolles Mittel ist, das zu oft manipuliert wird. Genau deshalb haben wir zusammen mit VRHAM! den XR History Award initiiert. Wir wollen   kreative Projekte fördern , die mit spannenden Technologien der Virtual, Augmented oder Mixed Reality unseren Blick auf Geschichte erweitern und damit neue Zugänge schaffen. Deshalb ist es uns wichtig, dass wir mit dem XR History Award ein Projekt auszeichnen können, dass faktenbasierte Geschichten über die Vergangenheit in neuen Formaten erzählt.

Bei unserer Arbeit ist es uns besonders wichtig, Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen und Ländern zusammen zu bringen. Nur so können wir Vorurteile gegenüber der „trockenen Geschichte“ oder neuen Digitalformaten abbauen. Geschichte findet im Digitalen statt, ob es uns als Gesellschaft gefällt oder nicht. Deshalb ist es uns wichtig, Games und Extended Reality als Kulturgüter ernst zu nehmen, aber gleichzeitig kritisch zu hinterfragen. Und vor allem nicht nur über die Formate zu reden, sondern sie tatsächlich auszuprobieren: Zocken und Eintauchen, und wirklich erfahren, was die Potenziale, aber auch Grenzen im Digitalen sind.

Im Rahmen der Ausstellung “ULTRAmarin – An immersive Exhibition” vergibt VRHAM! in Kooperation mit der Körber-Stiftung den XR History Award – es wurden mehr als 80 Arbeiten eingereicht, die Du als Teil der Jury mit ausgewertet hast. Was war Dir bei der Auswahl der/des  Gewinner*in besonders wichtig?

Wir hatten eine ganz tolle internationale und interdisziplinär besetzte Jury, die Expertise aus dem VR-Bereich, Medien- aber auch Geschichtswissenschaft zusammengebracht hat. Mir als Historikerin war besonders wichtig, dass es sich nicht um eine rein fiktive Geschichte handelt, sondern dass sie auf echten und nachvollziehbaren Quellen oder Zeitzeugenberichten basiert und auch keine Geschichtsverfälschung betreibt.

Uns war es  ebenso wichtig, dass das Projekt einen kreativen Zugang findet und durch einen künstlerischen Blick neue Perspektiven zeigt. Von den Einsendungen war ich wirklich begeistert, denn  sie zeigen, wie lebendig Geschichte und Erinnerung im Bereich Extended Reality ist. Das Projekt, das wir nun mit dem XR History Award auszeichnen, ist aus meiner Sicht besonders im Hinblick auf die konkreten Geschichten, die erzählt werden. Gleichzeitig dient es  als Modell, wie Auseinandersetzung oder gar Versöhnung mit umkämpfter Geschichte aussehen kann.

Im VR-Film Child of Empire erzählen zwei Zeitzeugen aus Indien und Pakistan von ihren Fluchtgeschichten nach der gewaltvollen Teilung 1947. Die Erzählungen der beiden Protagonisten werden nicht von dem Hass beherrscht, der die Beziehung zwischen Indien und Pakistan noch bis heute allzu oft bestimmt. So überwindet Child of Empire die Tendenz, eine Hierarchie der Opfer zu schaffen, indem das Projekt die beiden erzählten Geschichten gleichberechtigt nebeneinanderstellt.